Kinder sind nicht von Geburt an empathisch. Empathie müssen sie erst im Laufe ihrer Entwicklung lernen. Auf dem Weg dorthin spielt ausgerechnet die Trotzphase eine wichtige Rolle.
Wir befinden uns in einer Krabbelgruppe. Die kleine Mia beginnt plötzlich an zu weinen. Wie aus dem Nichts weinen Paul und Sarah einfach mit. Viele Eltern beobachten dieses Verhalten und sind entzückt – von soviel “Empathie”. Doch dem ist nicht so. Babys sind noch nicht in der Lage, Gefühle anderer zu erkennen und sich in sie hinein zu versetzen. Das “mitweinen” wird Gefühlsansteckung genannt. Babys lassen sich von Gefühlen anderer mitreißen. Das Bewusstsein, dass es sich um das Gefühl eines anderen handelt, haben Babys noch nicht. Bis ein Kind Empathie empfinden und verstehen kann, muss es noch einige Entwicklungsschritte bewältigen.
Mit der Trotzphase zur Empathie
Damit Kinder in der Lage sind, Empathie zu empfinden, müssen sie zwischen sich selbst und anderen unterscheiden lernen. Die Entwicklung des “Ich-Bewusstseins” ist also unabdingbar, um Empathie zu empfinden. Die Trotzphase spielt auf diesem Weg eine wichtige Rolle. Im Alter von zwei Jahren beginnen Kinder ihren eigenen Willen zu entdecken. In Form von heftigen Wutausbrüchen entsteht das Bewusstsein über sich selbst, die eigenen Wünsche und Vorstellungen.
Und auch wenn Eltern es kaum glauben können, dieses Verhalten ist der erste Weg zu Empathie und Mitgefühl. Der Trotz zeigt, dass ein Kind sich als eigenständige Person wahrnimmt und sich des Vorhandensein der “Anderen” bewusst ist.
So ist die Trotzphase – auch wenn sie viele Nerven kostet – ein äußerst wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung.
Erste empathische Reaktionen
Der nächste Schritt auf dem Weg zur Empathie ist die “egozentrische Empathie“. Diese beginnt zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr. Die Kinder zeigen nun zum ersten Mal mitfühlende und helfende Reaktionen. Dabei gehen sie jedoch nicht auf die individuellen Gefühle des Gegenübers ein, sondern handeln so, wie sie es sich in solch einer Situation wünschen würden. Frei nach dem Motto:”Was mir hilft, hilft auch dir.”.
So reicht Lena, der weinenden Helena ihr Kuscheltier, weil dieses Lena tröstet wenn sie traurig ist. Dies ist jedoch noch keine echte Empathie. Das Kind kann zwar die Gefühle anderer wahrnehmen, aber Bedürfnisse, die von den eigenen abweichen, kann es noch nicht verstehen.
Es handelt also mitfühlend, aber immer bezogen auf die eigenen Bedürfnisse. Etwa bis zum dritten Lebensjahr, werden die empathischen Reaktionen immer häufiger. Bis das Kind jedoch Werte wie Rücksichtsnahme, Höflichkeit und Fairness verstanden und verinnerlicht hat, dauert es noch etwas.
Empathie wird nicht vererbt
In den verschiedensten Situationen kann man Kinder dabei beobachten, wie sie empathisch Handeln. Die einen mehr, die anderen weniger. Doch wovon hängt die unterschiedliche Ausprägung der Empathie ab? Ist es angeboren oder doch eher eine Frage der Erziehung?
Wie in vielen Entwicklungsbereichen spielen beide Faktoren eine Rolle. Vererbt wird Empathie jedoch nicht. Der genetische Anteil ist sehr gering. Die Hauptrolle bei der Empathie spielt die Erziehung und das Verhalten der Bezugspersonen. Eltern und andere Bezugspersonen, wie Erzieherinnen und Lehrer, können viel dazu beitragen, die Entwicklung von Empathie und sozialem Verhalten anzuregen und zu fördern.
Um Kinder in ihrer Entwicklung von sozialem Verhalten und Empathie zu fördern, ist das wichtigste, dass Eltern warmherzig, liebevoll und mitfühlend mit ihren Kindern umgehen. Denn nur so entsteht eine sichere Bindung zwischen ihnen, welche Kinder benötigen, um selbst Beziehungen zu anderen aufbauen zu können, und sich ebenfalls mitfühlend zu verhalten.
Im Video: Experten warnen vor dieser Erziehungsmethode
Durch folgende Tipps können Eltern Mitgefühl und Einfühlungsvermögen ihrer Kinder noch zusätzlich fördern:
Vorbild sein: Kinder lernen am besten durch eigene Erfahrungen und Imitation von Bezugspersonen. Daher ist es wichtig, dass Eltern ihren Kindern, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft vorleben, und dabei auf die Gefühle anderer eingehen.
Sehen Kinder, wie Papa die kleine Schwester in den Arm nimmt, wenn sie weint, und Mama versteht, dass man traurig ist, wenn der Legoturm umfällt, speichern sie dies und spulen es in der nächsten Situation ab.
Bedeutsamer als bewusste Erziehung, sind die Erfahrungen, die Kinder mit ihren Eltern im Alltag sammeln. Kinder nehmen das Verhalten der Eltern als Beispiel dafür, wie sie ihr eigenes Leben und Verhalten gestalten können.
Geschichten vorlesen: Geschichten sind eine gute Möglichkeit, um sich in andere Menschen hinein zu versetzen. Gruseln, lachen, weinen und mitfiebern, all dies fördert die Fähigkeit, empathisch zu reagieren. Kindergeschichten bieten viele Wertvorstellungen und Bedürfnisse anderer Charakteren an, welche hinterfragt und analysiert werden können. Kinder lernen so auf aktiv-passive Weise Empathie kennen.
Lob und Anerkennung: Lob ist der wichtigste Bestandteil der Entwicklung eines Kindes. Durch Lob werden Kinder angespornt und ermutigt. Wenn ein Kind also andere tröstet, ihnen zur Seite steht, oder sich besondere Gedanken über das Geburtstagsgeschenk macht, sollten Eltern ihre Freude und Anerkennung darüber zeigen. So wird dieses Verhalten positiv verstärkt und regt Kinder dazu an, es zu wiederholen.
Jacqueline ist staatlich anerkannte Erzieherin, Fachkraft für U3 Betreuung, Inklusions- und Integrations-Pädagogin. Neben ihrer beruflichen Laufbahn, ist sie Mutter von zwei Kindern. Einem Mädchen und einem Jungen. Ihre Wissen und ihre Erfahrung schöpft sie also aus beruflichen und privaten Herausforderungen. Das macht sie zu einer perfekten Autorin für unser Magazin.