Was ist eine Legasthenie und was bedeutet LRS? Bereits in der ersten Klasse lernen Kinder aus Buchstaben, Wörter zu bilden, diese zu lesen und zu schreiben. Bis Kinder ganze Sätze lesen können, oder sogar einen Text, dauert es eine Zeit, und auch das Diktat muss noch etwas warten. Aber meist lernen Kinder recht schnell Silben zusammen zu setzen, Worte zu schreiben und Sätze zu lesen. Stolz präsentieren sie ihre Leistung den Eltern, und lesen am Frühstückstisch die aktuelle Schlagzeile vor.
Doch manchen Kindern fällt das Lesen und Schreiben nicht so leicht. Egal wie viel sie üben, es will einfach nicht klappen. Häufig haben sie noch in der vierten Klasse Probleme, Texte zu lesen und die Hausaufgaben zu schreiben. Grund könnte eine Legasthenie oder Lese-Rechtschreibschwäche sein. Doch durch gezielte Förderung, kann den Kindern das Lesen und das Schreiben nachhaltig erleichtert werden.
In einem Punkt sind Legasthenie und LRS gleich. Sie zeichnen sich beide dadurch aus, dass sich Kinder im Lesen und Schreiben nicht auf dem altersentsprechenden Entwicklungsstand befinden. Das bedeutet, sie haben große Probleme beim Lesen und Schreiben, und liegen mit ihrem Können weit hinter ihren Klassenkameraden. Dabei ist ihre sonstige Entwicklung völlig normal und unauffällig. Der große Unterschied der beiden Diagnosen liegt in deren Entstehung.
Während bei einer LRS von einer Schwäche gesprochen wird, die aus einem erklärbaren Grund entstanden ist (z.B. einem Trauma), spricht man bei der Legasthenie von einer “Störung”, die genetisch bedingt ist. Wissenschaftler gehen außerdem davon aus, dass bei einer Lese-Rechtschreibschwäche nur vorübergehende Probleme beim Lesen und Schreiben entstehen, und bei einer Legasthenie dauerhafte Schwächen bleiben.
Ursachen und Auslöser
Bei der Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) gibt es viele Unterschiedliche Ursachen, die sie auslösen. So kann eine mangelhafte Beschulung – beispielsweise durch viele Fehltage in der Schule – zu einer LRS führen. Aber auch Traumata, wie die Scheidung der Eltern, Verlust eines Familienmitglieds oder ähnliches, sowie soziale Hintergründe, wie ein Migrationshintergrund, können Auslöser dieser Schwäche sein.
Eine Legasthenie ist eine weitaus komplexere Störung. Sie ist genetisch bedingt und zeigt sich häufig darin, dass Kinder beim Sehen und Hören die Informationen anders verarbeiten und daher falsch wiedergeben. Ein spezielles Legastheniker-Gen gibt es jedoch nicht. Daher sind Kinder, deren Eltern Legastheniker sind, nicht automatisch betroffen. Aus diesem Zusammenhang gehen Experten davon aus, dass die Ursache der Legasthenie eine genetische Vorbelastung im Zusammenwirken mit verschiedenen Umweltfaktoren ist.
Legasthenie und LRS frühzeitig erkennen
Wie bei allen Entwicklungsstörungen, ist es auch bei der Legasthenie und der LRS wichtig, sie frühzeitig zu erkennen und das Kind gezielt zu fördern. Schon beim Schulstart ist daher das Augenmerk darauf zu richten, ob das Kind beim Lesen und Schreiben lernen Unterstützung benötigt. Bemerken Eltern dann tatsächlich, dass ihr Kind Probleme entwickelt, gehört viel Sensibilität gegenüber dem Kind in die Situation. Tadeln, Strenge und Vorhaltungen, bringen das Kind nicht weiter, denn es kann nichts für seine Störung.
Eltern sollten nicht zu lange abwarten, bis sie mit den Lehrkräften über ihre Beobachtungen sprechen. Denn auch eine vorübergehende Schwäche (LRS) sollte schnellstmöglich behandelt werden. Außerdem wird dem Kind durch schnelles Handeln ermöglicht, dass es weiterhin Freude an der Schule und dem Lernen behält, und den Anschluss an die Klasse nicht gänzlich verliert.
Anzeichen einer Legasthenie
Beim Lesen:
- Undeutliches, langsames und stockendes Lesen
- Buchstaben werden nicht oder nur stockend zu einem Wort zusammen gezogen
- Inhalt des Gelesenen kann nicht/nur in Bruchstücken wiedergegeben werden
- Auslassen, Vertauschen und Hinzufügen von Wörtern, Silben und Buchstaben
- Endsilben werden verschluckt
- Wörter werden mehr “erraten” als gelesen
Beim Schreiben:
- Hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten und auch abgeschriebenen Texten
- Schlechte Handschschrift
- Langsames Schreibtempo
- Wörter im selben Text mehrfach unterschiedliche falsch geschrieben
- Viele Grammatikfehler (z.B. Groß- und Kleinschreibung)
- Häufige Fehler in der Satzzeichensetzung
- Auslassen, Vertauschen und Hinzufügen von Wörtern, Silben und Buchstaben
Therapie und ganzheitliche Ansätze
Um eine effektive Therapie zu gewährleisten ist es wichtig, zwischen Legasthenie und LRS zu unterscheiden. Eine genaue Diagnose kann ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) stellen. Diese machen verschiedene Tests mit den Kindern und schätzen deren Lese-Rechtschreibprobleme ein. Steht dann eine Diagnose fest, kann die Therapie beginnen.
Bei einer Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) muss unbedingt an der Ursache der Schwäche gearbeitet werden. Das bedeutet, dass das auslösende Ereignis verarbeitet wird. Anschließend kann gezielt am Lesen und Schreiben gearbeitet werden. Mit spielerischen Übungen wird so eine Verbesserung erreicht. In den meisten Fällen lässt sich die LRS so gut verbessern, dass das betroffene Kind wieder den Klassenanschluss beim Lesen und Schreiben erreicht.
Bei einer Legasthenie ist die Therapie umfassender als bei einer LRS. Hier wird nach ganzheitlichen Ansätzen gearbeitet. Das bedeutet, die Therapie beinhaltet nicht nur den schulischen Aspekt, sondern auch soziale und emotionale Ansätze. Die Kinder sollen dabei nicht nur das Lesen und Schreiben lernen, sondern sich mit ihrer Störung auseinandersetzen, und sie akzeptieren lernen. Der Umgang mit der Legasthenie ist nämlich genauso wichtig, wie das üben von Lesen und Schreiben. In der ganzheitlichen Therapie setzen Experten deshalb auch auf Übungen zur Sinneswahrnehmung, Konzentrationsfähigkeit und zur speziellen Symptombearbeitung.
Die Erfolgschancen der Therapie hängen im hohen Maße vom Schweregrad der Störung, dem Zeitpunkt des Therapiebeginns, und dem sozialen Umfeld ab. In den meisten Fällen lässt sich die Problematik beim Lesen sehr gut und relativ schnell beheben. Bei der Rechtschreibung brauchen die Kinder häufig mehr Zeit. Doch mit einer geeigneten Therapie, wird man auch das verbessern können.
Der Nachteilausgleich in der Schule
Für Kinder, die an einer Legasthenie leiden, gibt es die Möglichkeit in der Schule einen Nachteilausgleich zu beantragen. Dieser soll dabei helfen, die Kinder ihren Leistungen entsprechend, unabhängig von ihrer Lese-Rechtschreibstörung, zu benoten. Durch den Nachteilausgleich haben betroffene Kinder eine Sonderstellung in der Schule. So haben sie bei Tests und Klassenarbeiten mehr Zeit zur Verfügung, und müssen nicht laut vorlesen oder an die Tafel schreiben. Außerdem haben sie eine feste Zeitspanne, in der sie ihre Hausaufgaben erledigen müssen. Schaffen sie in dieser Zeit nicht alle Aufgaben, sind sie von den restlichen befreit.
Wann einem Kind ein Nachteilausgleich gewährt wird, ist nicht gesetzlich geregelt, sondern wird vom jeweiligen Bundesland selbst festgelegt. In den meisten Bundesländern muss der Antrag bei der Schulbehörde gestellt werden, und beinhaltet ein Gutachten, in dem der Entwicklungsstand, die Intelligenz, körperliche und psychiatrische Symptome, und die sozialen Umstände des Kindes, beurteilt werden. Dieses Gutachten wird daraufhin einem Schulpsychologen vorgelegt, der wiederum darüber entscheidet, ob dem Kind ein Nachteilausgleich gewährt wird.
Im Video: Promis sprechen über Legasthenie im Alltag
Förderung zu Hause: Was Eltern tun können
Natürlich wollen auch Eltern ihren Kindern helfen, die Lese-Rechtschreibprobleme zu überwinden. Das wichtige hierbei ist, Kinder nicht zu überfordern. Üben und Lernen ist natürlich wichtig, aber viel wichtiger ist, dass Eltern Verständnis und Geduld haben, und ihrem Kind zeigen, dass sie immer zur Seite stehen. Kinder brauchen das Gefühl nicht dumm oder faul zu sein und an ihrer Störung keine Schuld zu tragen.
Unterstützen können Eltern ihre Kinder, indem sie gemeinsam singen, reimen und Geschichten lesen. Das fördert das Verständnis für Worte, Sätze und Laute. Auch zur Seite zu stehen, wenn das Kind die Hausaufgaben macht, ist sinnvoll. Sollte es Hilfe benötigen, ist sofort jemand da und gibt dem Kind Sicherheit. Auch Lob und Anerkennung kleiner Fortschritte sind ein Teil der Förderung. Mama und Papa können die Stärken des Kindes hervorheben und so sein Selbstbewusstsein stärken.
Eltern sollten im ständigen Austausch mit dem Klassenlehrer des Kindes stehen. Gemeinsam können Stärken und Schwächen erkannt und gezielt gefördert werden. Auch spezielle Fördermaßnahmen, wie Nachhilfe, kann man in Anspruch nehmen. Dabei sollte man auf speziell geschulte und professionelle Anbieter zurückgreifen, um die bestmögliche Förderung zu gewährleisten.
Jacqueline ist staatlich anerkannte Erzieherin, Fachkraft für U3 Betreuung, Inklusions- und Integrations-Pädagogin. Neben ihrer beruflichen Laufbahn, ist sie Mutter von zwei Kindern. Einem Mädchen und einem Jungen. Ihre Wissen und ihre Erfahrung schöpft sie also aus beruflichen und privaten Herausforderungen. Das macht sie zu einer perfekten Autorin für unser Magazin.