Burkhard Blienert (SPD), der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, will Gesundheits- und Jugendschutz auch beim deutschen Umgang mit Alkohol in den Mittelpunkt rücken. Im Gespräch mit dem Nachrichtenportal WEB.DE News sprach sich Blienert für eine Altersgrenze zum Erwerb von Alkohol von 18 Jahren aus. Konkret sagte er: „Auch Alkohol ist Gift für den Körper – vor allem für Heranwachsende. 18 wäre aus medizinischen Gründen eine sinnvolle Grenze. Jetzt ist aber erst einmal ein striktes ab 16 das gesteckte Ziel.“
Zusammenfassung im Video
Lest hier das Interview in voller Länge:
Bald beginnt die Volksfestzeit. Wie viel Maß sind okay, Herr Blienert?
Burkhard Blienert: Die Analysen zeigen klipp und klar, schon der erste Tropfen Alkohol ist gesundheitsschädlich. Auch die Weltgesundheitsorganisation spricht nicht mehr von einer gesundheitlich unbedenklichen Menge. Sicher ist: Je mehr man trinkt, desto schädlicher ist die Wirkung – oder anders ausgedrückt: Je weniger man trinkt, desto sicherer ist man. Jeder Tropfen zählt.
Lange Zeit hieß es, Alkohol in geringen Mengen sei unbedenklich – oder sogar gesundheitsfördernd. Sehen Sie das Potenzial für ein gesellschaftliches Umdenken?
Ich gehe davon aus, dass wir anders diskutieren über Alkohol und die Frage, wie viel wir trinken. Unsere Drogenpolitik orientiert sich daran. Wir stellen die Gesundheitsprävention nach vorne. Dazu gehört auch, dass Menschen die Risiken ihres Alkohol- oder Drogenkonsums besser einzuschätzen lernen. Diese Kompetenz ist wichtig. Drogen und Drogenkonsum aus der Tabuecke rauszuholen, offen darüber zu reden, mehr aufzuklären über Wirkung und Risiken, trägt dazu bei, dass Menschen ihr Verhalten verändern.
Im Zuge der Entkriminalisierung von Cannabis wurde viel über Jugendschutz gesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass diese Debatte einen Jugendschutz-Turbo gezündet hat?
Ja! Wir reden jetzt auch darüber, welche Altersgrenze bei Alkohol gelten sollte und wie wir besser vor riskanten Angeboten im Netz schützen können. Stichwort ist auch der Zugang zu Sozialen Medien wie TikTok. Den Jugend- und Gesundheitsschutz in der Cannabis-Debatte voranzustellen, war richtig. Jetzt müssen wir bei der Prävention weiterkommen – Alkohol, Tabak und Co. haben wir zu lange links liegengelassen. Dazu gehört auch, Werbung und Sponsoring weiter einzuschränken. Auch für Bier sollten keine Riesenplakate mehr an Bahnstationen hängen. Werbung dafür ist die schlechteste Prävention.
Bislang ist begleitetes Trinken ab 14 Jahren erlaubt. Das bedeutet, Minderjährige dürfen Alkohol trinken, wenn ihre Eltern dabei sind. Was stört Sie daran?
Das begleitete Trinken ab 14 Jahren suggeriert, dass es nicht schlimm ist, wenn Kinder am Eierlikör nippen oder den Schaum vom Bier schlürfen. So wird Alkohol verharmlost – und das ist nicht in Ordnung. Wichtig ist hingegen, dass über Risiken beim Konsum von Drogen und berauschenden Substanzen auch in Familien gesprochen wird. Die meisten Eltern sind damit konfrontiert, dass Jugendliche sich ausprobieren – besser ist, sie reden offen darüber, bevor es dazu kommt. Dazu gehört aber nicht, seinem Kind das Trinken beizubringen.
Sie sind beim Thema Alkohol für eine Altersgrenze von 18 Jahren.
Wir haben diese Debatte auch beim Thema Cannabis geführt. Die Frage lautete: Was ist aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse vertretbar? Es gab Stimmen, die Cannabis erst ab 25 Jahren erlauben wollten. Andere sagten, gerade Jugendliche sollten nicht vom Schwarzmarkt kaufen. 18 Jahre war der verhandelte Kompromiss. Auch Alkohol ist Gift für den Körper – vor allem für Heranwachsende. 18 wäre aus medizinischen Gründen eine sinnvolle Grenze. Jetzt ist aber erst einmal ein striktes ab 16 das gesteckte Ziel. Das begleitete Trinken ab 14 steht wirklich in absolutem Widerspruch zu allen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Wie könnte das überprüft werden? Oft steht der Kasten Bier im Keller des Elternhauses.
Wir reden über Gesundheitsprävention und nicht über Ordnungsdelikte. Mir geht es darum, ein Signal zu setzen, Orientierung zu geben. Das ist auch der Sinn anderer Altersgrenzen, zum Beispiel beim Tabak. Da geht es nicht darum, zu überprüfen, ob Eltern verhindern, dass ihr Kind raucht. Aber der Verkauf soll eingedämmt werden. Wenn Alkohol strikt ab 16 ist, darf nicht an Jugendliche verkauft werden. Und, wenn doch, kann es ein sehr dickes Ordnungsgeld geben. Jugendliche sollten nicht mehr so leicht an Alkohol rankommen.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen darüber sprechen, ob Alkohol gefühlt rund um die Uhr und an jeder Ecke für oft wenig Geld erhältlich sein muss. Auch wenn wir sehen, was Alkohol in unserer Gesellschaft anrichtet. Dabei geht es nicht nur um gesundheitliche Schäden und die vielen Toten, die vielen, die zu viel Alkohol trinken oder abhängig sind. Es werden auch sehr viele Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen.
Das heißt, es sollte mehr darüber debattiert werden, welche gesellschaftliche Gefahr von Alkohol ausgeht.
Kolleginnen und Kollegen vom Deutschen Roten Kreuz und anderen Rettungseinrichtungen, die an den Wochenenden unterwegs sind, sind teils an der Belastungsgrenze, gerade weil Alkoholexzesse richtig viel Zeit kosten und enorm fordern. Dabei geht es um Jugendliche und auch um Erwachsene.
In Deutschland werden jährlich mehr als zwölf Liter reiner Alkohol pro Person getrunken – damit rangiert die Republik im europäischen Vergleich auf Platz vier.
Dieser Spitzenplatz ist ein Armutszeugnis. Wir sollten uns ein Beispiel an anderen Ländern nehmen, die früher stärkere Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Bevölkerung zu schützen.
Was machen andere Länder anders?
Sie sind die klassischen Schritte gegangen: Alkohol ist in vielen Ländern sehr viel teurer als in Deutschland. Oft gibt es besondere Verkaufsstellen oder abgetrennte Bereiche in den Supermärkten. Möglich wäre auch, die 24-Stunden-Verfügbarkeit einzuschränken. Das hat kein Land einfach so durchgesetzt, sondern das immer mit einer gesellschaftlichen Debatte begleitet. Eine solche Auseinandersetzung brauchen wir hier dringend. Gesundheitsminister Karl Lauterbach macht da einen guten Job: Mit seinem Gutes-Herz-Gesetz zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigt er, Alkohol- und Tabakkonsum gehören zu den Hauptrisiken.
Sie stellen sich gegen Einweg-E-Zigaretten, Alkohol für Jugendliche, TikTok für Kinder: Sind Sie ein Spaßverderber?
Ich predige keine Abstinenz und will auch niemandem das Rauchen oder Trinken verbieten. Die Themen werden nur gerne verkürzt dargestellt. Einfache Antworten gibt es aber auch in der Sucht- und Drogenpolitik nicht. Der Umgang mit Süchten und Drogen muss sich an den Fragen orientieren: Wie können wir den Gesundheits- und Jugendschutz verbessern. Wie kriegen wir mehr Prävention für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen hin? Ich möchte den Blick auf diejenigen lenken, die sich eben nicht so laut dazu äußern können wie ich.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Web.de.