Die wohl meist gestellte Frage an frisch gebackene Eltern lautet, “Schläft es denn schon durch?”. Rund 70 Prozent der Eltern beantworten diese Frage, im ersten Lebensjahr ihres Kindes, mit Nein. Schnell kommen nun ganz persönliche Tipps für spezielle Schlaftrainings – und die Eltern setzen sich mehr und mehr unter Druck. Die Gesellschaft suggeriert, dass ein Baby schnell Durchschlafen kann und muss, andernfalls ist dies ein Versagen der Eltern. Neben dem Leidensdruck des allgegenwärtigen Schlafmangels, leiden Eltern dadurch zusätzlich an unnötigen Versagensängsten. Dabei ist bei Kindern in den ersten zwei Lebensjahren, ein Durchschlafen im Sinne von 8 oder 9 Stunden Schlaf, eher die Ausnahme, als die Regel.
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Der Druck der Gesellschaft auf die aktuelle Elterngeneration
Spricht man mit seinen eigenen Eltern, oder sogar Großeltern, über den Schlaf eines Babys, erhält man fast immer die Antwort, dass früher alle Babys durchgeschlafen haben. Bereits wenige Wochen nach der Geburt hätten angeblich alle Neugeborenen in der Nacht 7 und mehr Stunden geschlafen. Diesem Druck sind alle frischgebackenen Eltern ausgesetzt. Schon rein aus Evolutionssicht gesehen, ist diese Aussage jedoch äußerst fragwürdig. Denn Neugeborene sind genetisch darauf gepolt, alle paar Stunden wach zu werden, um sich zu vergewissern, dass sie in Sicherheit sind. Sie kontrollieren ob sie alleine sind, oder jemand zur Stelle ist, wenn sie weinen. So haben Neugeborene über Jahrtausende instinktiv ihr Überleben gesichert.
Viel wahrscheinlicher, als die Tatsache, dass Babys wirklich deutlich früher durchschliefen ist, dass unsere Eltern und Großeltern schlichtweg vergessen haben, wie anstrengend das erste Jahr mit Baby war. Auch hier spielt die Evolution eine wichtige Rolle. Denn so wurde ebenfalls gesichert, dass Eltern nicht nur ein Kind bekamen – sondern bestenfalls mehrere. Das Überleben der Gesellschaft (des Stamms – oder gar der menschlichen Population) war somit gesichert.
Die Definition von Durchschlafen ist eine Andere
Fragt man Kinderärzte und Hebammen, dann sind 5-6 Stunden Schlaf (am Stück) ein enormer Meilenstein. Schaffen es Säuglinge, diese Zeit in der Nacht zu schlafen, spricht man tatsächlich vom Durchschlafen. Denn sie verschlafen dadurch gleich mehrere Mahlzeiten. Üblicherweise trinken Neugeborene alle 2 bis 3 Stunden. Erst wenn sie mehrere Monate alt sind, stellt sich ein erkennbarer Rhythmus ein und die Mahlzeiten haben größere Abstände.
Für Eltern sind diese nächtlichen Stunden geradezu eine Wohltat. Jedoch werden damit die benötigten 7-9 Stunden erholsamen Schlaf nicht gänzlich gedeckt. So laufen auch weiterhin viele Mütter und Vater mit dicken Augenringen und gähnend umher. Ab dem 12. bis hin zum 24. Monat ist dann auch mit einem nächtlichen Schlaf von 10 Stunden und mehr zu rechnen.
Nicht zu unterschätzen sind im ersten Lebensjahr die sogenannten Wachstumsschübe. Ist ein Baby mitten in einem Wachstumsschub, von denen es innerhalb der ersten 14 Monate immerhin satte 8 Stück gibt, wird es generell unruhig, nörgelig und auch ängstlich. Das macht sich dann leider auch im Schlafverhalten deutlich. In diesen Phasen braucht ein Baby viel Nähe und Bestätigung der Eltern.
Mit gezieltem Schlaftraining bei Kindern zu mehr Schlaf?
Ein spezielles Training hilft nicht, diesen Entwicklungschritt schneller zu erreichen. Im Gegenteil, Kinder die minutenlang weinen und merken, dass niemand zu ihnen kommt, resignieren und weinen nur aus diesem Grund nicht mehr. Für Ihr Urvertrauen und ihre Bindung zu den Eltern ist das fatal.
Wichtig an diesem Punkt ist es zu unterscheiden, zwischen dem Durchschlafen und dem Einschlafen. Beim Thema Einschlafen kann man tatsächlich mit liebevollen Ritualen punkten. Sanfte Einschlafhilfen funktionieren auf schon bei den ganz Kleinen recht gut. Auch hier gibt es jedoch ganz unterschiedliche Ansätze und vermeintlich revolutionäre Ratgeber. Vieles davon ist schlicht zu radikal und kann einer kleinen Seele ganz furchtbar schaden.
Jacqueline ist staatlich anerkannte Erzieherin, Fachkraft für U3 Betreuung, Inklusions- und Integrations-Pädagogin. Neben ihrer beruflichen Laufbahn, ist sie Mutter von zwei Kindern. Einem Mädchen und einem Jungen. Ihre Wissen und ihre Erfahrung schöpft sie also aus beruflichen und privaten Herausforderungen. Das macht sie zu einer perfekten Autorin für unser Magazin.